WESENHAFTES JENSEITS DER ABBILDBAREN OBERFLÄCHE AUFSPÜREN, DIE ANDERE, „IMMATERIELLE“ WIRKLICHKEIT HINTER DEN DINGEN ERKUNDEN, VERINNERLICHTES UND NICHT OFFENSICHTLICHES ERFAHRBAR MACHEN....
Diesen Ansatz verfolgt Katja Egler Streil seit Beginn ihres künstlerischen Werdeganges mit logischer Konsequenz.
Bereits in früheren Arbeiten beschäftigte sie sich mit dem sog. „Malen ohne Licht“ , bei dem sie mittels der Photogrammtechnik (bei der Gegenstände auf Photopapier direkt belichtet werden) die haptische Form von Gegenständen quasi „entmaterialisierte“, um durch deren Auflösung ihre Essenz herauszukristallisieren. Diese Entmaterialisierung wurde noch dadurch gesteigert, dass die Photogramme nicht nur als eigenständige Werke behandelt, sondern auch als Lichtprojektion in den Raum geworfen wurden, wo sie quasi „Lichträume“ oder „Lichtinstallationen“ schufen.
Des weiteren untersuchte die Künstlerin - inspiriert durch das Faksimile einer Bachhandschrift - Möglichkeiten der Umsetzung der Immaterialität von Klängen. Durch die Verfremdung und Vergrößerung des Notenmaterials (abgebildeter Musik) ergaben sich neue Strukturen, die malerisch und zeichnerisch bearbeitet wurden.
Im Rahmen dieser Ausstellung sind skulpturale und malerische Werke dieser vielseitigen Künstlerin zu sehen.
Mit ihren Arbeiten dringt Katja Egler Streil immer wieder in neue Dimensionen vor und erschließt sich und uns die Möglichkeit, die Substanz hinter der sinnlich wahrnehmbaren Gestalt der Dinge erfahrbar zu machen. In Bildern von beeindruckend suggestiver Kraft scheinen sich Zell- und Mineralstrukturen zu offenbaren, findet man Gebilde, die - jenseits der Gegenständlichkeit - an Mollusken, Pflanzensprösslingen und Objekte biologischer Herkunft erinnern. Fremdartig und doch gleichzeitig vertraut wirken sie, organisch und lebendig. Sie entführen uns in eine Sphäre zwischen ahnen und wissen, kreieren verschiedenen Realitätseben, die, wenn sie aufeinanderstoßen, Spannungen erzeugen.
Als seien die Bilder gigantische Objektträger, auf denen man in die Schichten hinter der Oberfläche der visuellen Wirklichkeit vordringen kann, werden sie zu Fenstern in andere Welten. Der Blick ins Bild scheint wie ein Blick durchs Mikroskop, obgleich das Verständnis von Mikro - zu Makrokosmos zu oszillieren anfängt.
über der Oberfläche wird zu unter der Oberfläche, zu jenseits dieser Haut, die Wirklichkeit von Wesenhaftigkeit und Imagination trennt. Diese Haut zu durchstoßen bedeutet, sich dem instinktiven Erspüren zu überlassen, mit dem Gefühl zu entdecken.
Vor diese Herausforderung stellt Katja Egler Streil den Betrachter auch mit ihren vielschichtig gestalteten Bildern aus der Reihe Unterwasserwelten.
Sich wild überlagernde Farbnetze aus Rot, Weiß- und Türkistönen lassen eventuell Assoziationen an peitschende Gicht, oder auch an Luftaufnahmen meteorologischer Ausnahmezustände zu. In einigen Werken scheint es förmlich zu brodeln, und die aufwühlende Dynamik der Strukturen vermittelt einen starken Eindruck von Bewegung. Unter den sich reliefartig aufwerfenden Material- und Farblagen sind inselartig Objekte eingearbeitet worden. Die versteckten Formen unterstreichen einerseits die Plastizität der Arbeiten, andererseits verleihen sie ihnen aber auch einen geheimnisvollen Charakter und wecken die Neugierde.
Auch in den Bildern der Serie Mimikri finden sich bei näherem Hinsehen unter den unruhigen Farblandschaften geheimnisvolle Formen wieder, die sich im Spiel kontrastreicher Muster verbergen und die in den unteren Schichten des Bildgrundes entlang zu wachsen scheinen. Mimikri- der Titel suggeriert Antworten auf Fragen der Interpretation, noch bevor diese gestellt werden könnten, und die sich eindeutigen Formulierungen entziehen.
In ihrer typischen Ambivalenz sind die Arbeiten sowohl analytisch als auch synthetisch, decken Wirklichkeitszustände auf, zerlegen sie und schaffen sie neu. Die verschiedenen Schichten fordern einerseits geradezu heraus, „archäologisch“ untersucht zu werden, anderseits verbergen, verhüllen sie. Wer diese Art der Archäologie betreibt und die verschiedenen Schichten durchdringen und untersuchen will, wird dabei mystisch Ahnungsvolles mit humorvoller Anspielung gepaart finden.
Oft entführen die Bildtitel in die sagenhafte Welt der Mythen und Märchen und zeugen dabei von einer feinen Ironie, wie z.B. bei dem Objekt Die Prinzessin in der Erbse. Hier werden - im frechen Komplementärkontrast leuchtend - in rot bemalten Austernschalenhälften statt Perlen stolz Erbsen präsentiert.
In vielen ihrer Bilder verwendet die Künstlerin natürliche Fundstücke, die sowohl den reliefartigen als auch den organischen Charakter der Arbeiten noch zusätzlich unterstreichen. Neben den Erbsen handelt es sich meistens um Muscheln - Zeugnisse aus dieser anderen Welt unterhalb des Meeresspiegels - die unseren Augen normalerweise verborgen bleiben. Vereinzelt aber auch um Schneckenhäuser, die wiederum selber ihren Inhalt im Inneren verbergen können.
In der Orpheusprophylaxe bilden diese aufmontierten Fundstücke eine Struktur, die an ein fünfarmiges Meerestier oder an einen blauen Strudel erinnert.
Hin- und hergerissen zwischen der Synästhesien erzeugenden Sogwirkung des Bildes einerseits, und dem die Phantasie herausfordernden Titel andererseits, gerät der Betrachter schnell ins Philosophieren.
Immerhin war der Musensohn Orpheus der göttliche Sänger und Saitenspieler, der laut griechischer Mythologie mit seiner Musik selbst wilde Tiere und Steine verzaubern konnte. Seine Macht war so groß, dass er es beinah schaffte, seine verstorbene Gattin Eurydike aus der Unterwelt zurückzuholen. Das Unterfangen misslang, allerdings nur knapp, da der Ungeduldige sich - gegen das Verbot der Götter - voreilig nach ihr umdrehte. Sogar die vernichtende Bestrafung wütender Bacchantinnen soll er - wenn auch nur bruchstückhaft - überstanden haben: Nämlich als singuläres, aber immer noch potentes, weissagendes Haupt, das auf Lesbos angespült und dort verehrt wurde. Mitsamt der Leier wohlgemerkt!
Wird dem Betrachter also suggeriert, er sei auch ein Lauschender, und die Macht der Musik sei ein unzerstörbares Mysterium? Wie könnte man sich je gegen die Zauberkraft der Klänge zur Wehr setzen? Oder bezieht sich die Anspielung des Titels am Ende gar nicht auf die Macht der Musik? Bei weiterer überlegung wird sich das Paradoxon der Orpheusprophylaxe dementsprechend ausweiten.
Auch die beiden großformatigen Arbeiten Spring! und Geh! erschließen sich dem Betrachtenden vor allem jenseits einer bewussten Wahrnehmungsebene.
In Geh! scheinen sich zerstückelte rote und blaue Linien, gleichsam abgebrochenen Wegstücken in lebhaftem Durcheinander zu einem dezentrierten Labyrinth anzuordnen. Zwischen den breiteren linearen Fragmenten markieren Reihen feiner Erbsen einzelne Streckenabschnitte. Diese Gegensätzlichkeit setzt sich auch in der Wirkung des Bildes fort. Obwohl es offensichtlich einen verspielten Charakter hat, ist die transportierte Stimmung dennoch meditativ und ausgeglichen, was sich durch die Regelmäßigkeit der Rhythmik und dem reduzierten, hellen Farbzusammenklang von rot, weiß, blau erklären lässt.
Als Betrachter fühlt man sich von der simplen Aufforderung direkt angesprochen und ist bereit zum Dialog: Gehen- aber wohin und wieweit, fragt man sich automatisch. Diese Wege führen nirgendwohin.
Katja Egler-Streil firnisst fast alle ihre Arbeiten mit einer Schicht Kunstharz. Dabei wird der Charakter dieses für sie sehr wichtigen Werkstoffs als ein eigenständiges gestalterisches Element benutzt. Wie künstliches Bernstein fängt das Kunstharz einen augenblicklichen Zustand ein, konserviert ihn und kristallisiert ihn aus der Prozesshaftigkeit heraus, die die Arbeiten vermitteln. Der Augenblick bleibt lebendig und das Bild archiviert ein dauerhaftes „Jetzt“, ausgeschnitten aus der Zufälligkeit.
So auch in Spring!, in der der Fluss des Kunststoffes auf der Oberfläche eine abstrahierte Figur anzudeuten scheint. Die Umrisse dieser Figur, die ihre Arme seitwärts in die Luft wirft als würde sie zum Sprung ansetzten, sind nur zu erahnen und als eine Art durchsichtiger Schatten wahrnehmbar. Während die unkonkrete, fließende Form die Bewegung andeutet, bildet ein Konglomerat aus Schneckenschalen ihren Mittelpunkt. Ein organisches Zentrum, das ihr Stabilität verleiht, sie aber gleichzeitig auch am Boden hält. Die Fundstücke tragen in ihrer subtilen Symbolsprache der Tatsache Rechnung, dass auch die leeren Schneckenhäuser sich nirgendwo ohne ihre Bewohner hinbewegen werden.
Die Spannung, die dieses Bild ausmacht, spiegelt die Spannung, die entsteht, wenn die entgegenwirkenden Kräfte von Kopf -und Bauchgefühl aufeinandertreffen. Eine alltägliche und nur zu vertraute Situation. Das Konfliktpotential, das sie birgt, wird vom Betrachter intuitiv erfasst und an individuellen Erfahrungswerten gemessen.
Kopf oder Bauch, springen und gleichzeitig zentrierte Mitte sein - die gelungene Zusammenfassung eines entweder/oder in ein Ganzes, ist eine Qualität, die auch das skulpturale Werk der Künstlerin charakterisiert.
Nach Ganymed - dem wegen seiner Schönheit von Zeus per Adler in den Olymp entführte Jüngling - ist z.B. die hellbraune, schlanke, emporstrebende Skulptur aus Porenbeton und Gips betitelt. Richtet sich die Form gerade auf und ist noch im Wachsen inbegriffen, oder sinkt sie in sich zusammen, wehrlos und ausgeliefert, vielleicht sogar resignierend? Der festgehaltene Augenblick ist ein kurzes Verharren in der Schwebe, weder entschieden noch abgeschlossen. Auch hier findet sich dieses spannungsgeladene Moment wieder, das einen Zustand der Bipolarität erzeugt. Die Arbeit wird zum Kraftfeld zwischen gleichzeitigem Anziehen und Abstoßen.
Dieses Prinzip kommt auch in den beiden Arbeiten Interrogare (fragen) und Respondere (antworten) zu Ausdruck. Es handelt sich zwar um jeweils eigenständige Werke, dennoch bilden sie in gewisser Weise auch das jeweilige Pendant zueinander.
Während die „Frage“ quasi im wörtlichen Sinne kompakt, solide, monolithisch schwarz, aufrecht im Raum steht, ist die potentielle „Antwort“ auf die imaginäre Frage nicht so eindeutig. In zwei variablen Teilen liegt sie am Boden und beinhaltet theoretisch eine Vielzahl an Positionierungsmöglichkeiten. Der Interpretationsspielraum ist zwar weit gefasst, aber man ist versucht zu glauben, dass in ihrer Beantwortung die Auflösung der Frage liege. Die Versuchung ist groß, zu untersuchen, ob die beiden Teile von Respondere aneinandergerückt, ähnlichkeit mit der geschwungenen Form von Interrogare besitzen.
Verena Patzke, M.A.